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TEIL 1.: (Teil 2 finden Sie hier)

Trotz aller Widersprüche geistert immer noch die Idee durch die Welt, Flug MH17 sei am 17. Juli 2014 von einem Kampfflugzeug über dem Donbass ab­ge­schos­sen worden. Ein netter User hat mir dazu per Mail ein 16-seitiges Werk geschickt, das, obwohl in deutsch, angeblich von russischen Ingenieuren stammt (Download-Link am Ende dieses Artikels) und zu dem Ergebnis kommt, dass ein Ab­schuss der Boeing 777 per Bordmaschinenkanone (BMK) sei das wahr­schein­lichste Szenario.

Ich möchte hier mit ein paar wenigen einfachen Berechnungen und Über­le­gun­gen zeigen, dass der Abschuss per BMK nicht nur der un­wahr­schein­lichste Fall ist, sondern technisch völlig unmöglich.

Meine Überlegungen bauen übrigens auf der Präsentation der Russen auf, die Sie sich hier ansehen können (und sollten, damit das Verständnis leichter fällt). Wichtig aus dieser Präsentation ist vor allem dieser Screenshot, auf dem die SU-25 auftaucht, die nach Ansicht der Russen für den Abschuss von MH17 in Frage kommt.
mh17-su25-linkskurve
Fangen wir mit der leichtesten Berechnung an, der Ge­schwindigkeit. Aus den Radar­aufzeichnungen auch der russischen Seite und der bisherigen Auswertung der Blackbox wissen wir, dass MH17 in etwas über 10.000 Meter Höhe mit 900 km/h unterwegs war (= 900.000 m/3600 Sekunden = 250 m/s).

Die erwähnte Untersuchung der russischen Ingenieure greift die SU-25 auf, die in der russischen Präsentation der dort vermuteten Gescheh­nisse ein Rolle spielt, wobei ich anmerken darf, dass diese SU-25 in den Aufzeichnungen der Luftraum­überwachung der Ukraine nicht auftaucht. Aber egal, denn wenn wir MH17 mit der BMK abschießen wollen, brauchen wir da oben einen Kampfjet.

Sie SU-25 ist ein Erdkampfflugzeug, dazu konzipiert, relativ tief fliegend Ziele am Boden zu bekämpfen. Deshalb hat die SU-25 auch nur eine Dienst­gip­fel­hö­he von etwa 7000 Metern. Um es gleich klarzustellen: Die SU-25 kann höher fliegen, d.h. ihre Gipfelhöhe liegt über 7000 m, IMHO bei 10.000 bis 11.000 m. Russische Techniker sprechen sogar von 14.000 m, aber das dürfte nur theo­re­tisch unter extrem guten Witterungsbedingungen in der Nähe des Äqua­tors dort mög­lich sein, wo die Troposphäre eine Beule hat. Aber darauf kommt es hier nicht an, denn die 10.000 m, in der MH17 beim Abschuss flog, kann eine SU-25 ziem­lich sicher erreichen.

Aber 10.000 Meter liegen eben 3000 Meter über der Dienstgipfelhöhe einer SU-25, Was heißt das, was bedeutet das? Dienstgipfelhöhe ist die maximale Flughöhe eine Flug­zeuges, in der es noch voll manövrierfähig ist. Wo diese Ma­nö­vrierfähigkeit aufhört, das hängt von vielen Fak­toren ab. Ein wichtiger Faktor ist die Steig­geschwindigkeit oder Steigrate, die Zu­nah­me an Höhe pro Minute (oder Sekunde). Die Steigrate wird für gewöhnlich in Fuß (feet) an­ge­ge­ben. Ich werde das hier in Meter pro Sekunde um­rechnen.

Für ein zweistrahliges Düsenflugzeug ist die Dienstgip­fel­höhe erreicht, wenn die Steigrate unter 5 m/s fällt. Die SU-25 ist zwei­strahlig, aber nicht darauf aus­gelegt, in großen Höhen zu kurven und hat deshalb schon eine mickrige anfängliche Steig­rate von nur 65 m/s (Welt­meister ist übrigens die MiG-29 mit 330 m/s).

Auf 5 m/s fällt die Steigrate der SU-25 also bei einer Höhe von 7000 m. Selbst wenn die SU-25 über 7000 m Höhe ihre Steigrate von 5 m/s beibe­halten könnte, würde sie für die 3000 Meter Dif­ferenz bis zur MH17 10 Minuten brauchen (3000 Meter : 5 Meter/sec = 600 Sekunden = 10 Minuten). Aber die Steigrate nimmt nach oben immer weiter ab, auch und gerade jen­seits der Dienst­gipfelhöhe. Die genauen Werte bei der SU-25 kenne ich nicht, aber im arithme­tischen Mittel müsste die Steig­rate im Bereich von 7000 bis 10000 m Höhe unterhalb von 2 m/s lie­gen und da­mit bräuch­te die SU-25 ca. 30 Minuten, um diese Höhe zu er­klim­men (also nur die Dif­ferenz vom 7000 auf 10000 Meter!) Während des Steigfluges nimmt nicht nur die Steiggeschwindig­keit (verti­kale Geschwin­dig­keit) ab, sondern auch die Hori­zontal­geschwindigkeit. Laien­haft umschrieben: Es wird für die SU-25 immer beschwer­licher die Treppe nach oben zu steigen. Voll be­waffnet wird es die SU-25 wahr­scheinlich nie auf 10.000 Meter schaf­fen, mit der Folge, dass ihr die Boeing 777 einfach mit 900 km/h weg fliegt. Die Maximal­geschwindigkeit der SU-25 liegt bei 965 km/h, aber da oben auf 10.000 m vielleicht bei 600 km/h. Ihre kleinen Düsen saugen in der dünnen Luft zu wenig Sauer­stoff, um den vollen Schub zu entwickeln und eine Nach­verbrennung hat die SU-25 nicht.

Aber nehmen wir mal an, die SU-25 könnte mit (horizon­taler) Höchst­geschwin­dig­keit von 7000 auf 10.000 m steigen, dann braucht sei für diese 3000 m Hö­hen­dif­ferenz trotzdem ca. 30 Minuten, denn an der Vertikal­geschwindig­keit (Steig­rate) ändert das nix. Wie groß ist dann die ab­solute Ge­schwin­digkeit über Grund? Die Frage beant­wortet der olle Pythagoras:
965py
Alle Werte 1 Stunde gerechnet, daher die rote Kathede „6 km“ und nicht die 3000 m in 30 Minuten.
X² = 965² – 6² = 931189
x = 964,982 km

Während des 30 Minuten dauernden Steigfluges legt die SU-25 in diesem Be­rech­nungs­bei­spiel bei Höchstgeschwindigkeit gut 482 km über Grund zurück.

Aus der russischen Präsentation wissen wir, dass die SU-25 von vorn angeflogen sein soll, also nicht im klassischen „Dogfight„. Das macht man zwar nicht so, son­dern versucht immer hinter die gegne­rische Maschine zu kommen, aber nur der Frontal-Angriff passt zum Tref­fer­bild, das wir von den Fotos der Wrack­teile kennen. Alle Fotos der Wrackteile von MH17 zeigen Ein­schläge vorne links (in Flug­richtung der 777 gesehen). Da es der SU-25 aber wie be­rechnet nicht ge­lin­gen kann, die Boeing 777 bei dem extremen Steig­flug oberhalb der Dienst­gipfelhöhe zu „über­holen“, müss­te die SU-25 bereits vor dem Angriff/Ab­schuss von vorn an­geflogen sein. Bei einer Län­ge des Steig­fluges von 482 km (bei angenommener Höchst­geschwindig­keit) müsste die SU-25 da­bei fast 400 km über rus­sischen Gebiet geflo­gen sein, denn das Rendezvous der beiden Maschi­nen müsste bei Rozsypne gelegen haben, ca. 2,3 km östlich der letzten, vom FDR auf­gezeich­neten Posi­tion von MH17 (siehe Seite 22 des Zwi­schen­be­richts) und Rozsypne liegt keine 100 km von der rus­sischen Grenze entfernt.

Wenn in der russischen Präsentation gezeigt wird, wie sich die SU-25 von hinten an die 777 „anschneckt„, die 777 „überholt“ und sie dann in einer scharfen Links­kur­ve von vorn angreift, dann ist das schlicht und einfach BULLSHIT, nicht nur, weil die Ent­fernungen nicht stimmen können, sondern weil die SU-25 jen­seits der Dienstgipfelhöhe praktisch manövrier­unfähig ist.

Wohl aus diesem Grund haben die „russischen Ingenieure“ in dem mir über­las­senen ominösen Dokument auch eine MiG-29 aus dem Hut gezaubert, von der vorher nie die Rede war. Warum? Weil die MiG-29 all das kann, was die rus­si­sche Präsentation der SU-25 an­dich­tet. Die MiG-29 könn­te sich mit Mac 2,5 von hinten an die 777 „an­schlei­chen“, sie lo­cker über­holen, aus­kurven und von vorn ab­knal­len.

Aber warum sollte ein Kampfpilot so vorgehen, wo der sein Ziel schon vorher in Dogfight-Position hat? Dass russische Piloten wissen, wie man zivi­le Pas­sa­gier­ma­schi­nen vom Himmel holt, ist spätestens seit KAL007 bekannt. Und selbst wenn sich die SU-25 oder MiG-29 aus der güns­tigen Dogfight-Position zur Nase des Zieles begeben wollte, dann fliegt sie an der Breitseite der 777 vorbei, die ein noch viel bes­seres, weil grö­ßeres Ziel dar­stellt. Und warum sollte der Kampf­pilot eine Boeing mit der BMK bekämp­fen, wo er doch die viel siche­ren, auf größere Ent­fer­nung ein­setzba­ren Luft-Luft-Rake­ten zur Ver­fügung hat? Diese Fragen werden leider weder von der russischen Präsen­tation noch von den „russischen Ingenieuren“ beantwortet. Deshalb wenden wir uns einer anderen Frage zu:
mh17-3
Warum muss die SU-25 über­haupt auf 10.000 Meter, die Flughöhe von MH17, klet­tern, um die BMK einsetzen zu können? Die BMK der SU-25 ist ein Zwillings­geschütz Kaliber 30 mm und starr unter dem Bauch der SU-25 an­ge­bracht. Um mit der BMK treffen zu können, muss sich die BMK auf etwa dem gleichen Level wie das Ziel be­finden. Es geht auch, wenn sich die angreifende SU-25 über dem Ziel befin­det und mit der Nase auf dieses zeigt, also quasi im „Sturzflug“, aber es geht nicht im Steig­flug, habe ich mir von ei­nem Kampf­piloten erklären lassen. Ob’s stimmt, weiß ich nicht, aber es klingt aus diesem Grund plausibel:

Stellen Sie sich zwei Jets vor, die direkt aufeinander zufliegen und einer schießt auf den anderen und trifft ihn, wobei sich das getroffene Flugzeug in der Luft zerlegt, so wie es MH17 in der Luft zerlegt hat. Schauen wir uns nochmal die Lage der Wrackteile von MH17 an auf dieser Karte aus dem Zwi­schen­un­ter­su­chungs­bericht:
mh17zwischenbericht-lage
Die linke Forward section liegt am nächsten zu angenommenen Ab­schuss­po­si­tion. Ist aerodynamisch leicht zu erklären: als diese große plane Teil des Rumpfes herausgerissen wurde, wurde es wie ein Blatt im (Gegen-)Wind nach „hinten“, gegen die Flugrichtung geweht. Dann folgt das schwere, etwas wind­schnit­tigere Cockpit-Teil und ein ganzes Stück weiter der Rest. Alle zer­fetzten Teile ver­lieren nicht nur an Höhe, sondern auch an Geschwindig­keit, aber nicht so, dass diese Wrackteile für den An­greifer nicht gefährlich werden können. Die effektive Kampfentfernung der BMK liegt um die 3000 Meter. Beide Flug­zeuge nähern sich mit einer relativen Geschwindig­keit von (900 + 600 =) 1500 km/h an. Das sind rund 417 m/s. Wenn die Kampfentfernung der BMK der SU-25 nur 3000 m beträgt, dann stehen sich beide Maschinen in 7 Sekunden auf den Füßen. Bei einem Frontalangriff ist das Risiko nicht von den rumfliegenden Trümmern des Zieles getroffen zu werden am gering­sten, wenn der Angreifer über dem Ziel fliegt, nicht auf gleicher Höhe und erst recht nicht unter dem Ziel.

7 Sekunden Annäherungszeit innerhalb der Kampfentfernung der BMK sind nicht viel, deshalb heißt es: kurzer Feuerstoß und nix wie weg aus der Gefahrenzone. Ich darf daran erinnern, dass „unsere“ SU-25 weit oberhalb ihrer Dienst­gipfel­höhe fliegt und praktisch manövrier­unfähig ist. Da ist nix mit schnell weg­bre­chen wie bei „Top Gun„.

Noch ein Problem zum eben erwähnten Stichwort „Feuerstoß„. Die BMK der SU-25 hat zwar eine Kadenz vom 3000 Schuß pro Minute (50 Schuss/s), aber in der Standard­konfiguration nur 250 Schuss Munition an Bord, d.h. die SU-25 könnte maximal 5 Sekunden Dau­er­feuer ballern und wäre dann leer. 5 Sekunden Dau­er­feuer (250 Schuss) im Fron­tal­angriff bei 7 Sekun­den Ab­stand ist Kami­kaze, Selbst­mord21, 22 … manövrier­unfähig – RUMMS.

Daraus folgt das nächste Problem: Ich habe auf den Fotos der Wrack­teile von MH17 zar die „Ein­schuss­löcher“ nicht gezählt, aber es scheint, dass es sehr viele sind, zu viele für einen kur­zen Feuer­stoß aus der BMK. Das Vorstehende gilt auch für die jetzt ins Spiel gebrachte MiG-29, sogar noch extre­mer, weil die relative An­näherungs­geschwindigkeit zwischen einer MiG-29 und MH17 größer und damit die An­näherungs­zeit geringer wäre, wobei allerdings die MiG-29 den Vor­teil hätte, in dieser Höhe noch voll manö­vrier­fähig zu sein und aus einer sicheren Höhe von 13.000 m an­grei­fen könnte.

An dieser Stelle möchte ich zusätzlich an die Berechnungen von verruca er­in­nern. Ich habe zwar nie aus einem Flieger mit der BMK geschossen, aber sehr viel mit der 20-mm-BMK des Mar­der auf mit Jute be­spann­te Holzge­stelle mit der Silhouet­te eines Panzers. Selbst wenn dabei mein Marder still in seinen Ton­nen ruhte und auch der Jute-Panzer stand, habe ich mich immer gewundert, wie weit ge­streut die Einschlag­löcher auf dem Ziel lagen. So eng bei­ein­an­der wie auf diesem Foto zu sehen, sah es bei mir jeden­falls nicht aus.
mh17_crash_part_shrapnell_ap
Ich denke, jeder kann sich lebhaft vorstellen, wie unmöglich es ist, bei zwei auf­ein­an­der zu­fliegenden Jets dieses Trefferbild mit einer BMK zu erzielen.

Ich möchte nochmal auf die Frage eingehen, warum ich das hier zugrunde gelegte Sze­nario aus den Fron­talangriff beschränke. Das hat nicht nur etwas mit der russischen Präsentation zu tun, sondern vor allem was mit den Fotos der WWrackteil. Es fehlen Fotos von Wrack­tei­len der hinteren Hälfte des Rumpfes, die z.B. am Heck von MH17 die charakteristischen Löcher zeigen, wie etwa am Cockpit. Das heißt nicht, dass es solche Treffer in diesem Bereich nicht gibt, aber weil sich die Presse­fotografen und Laien an der Abschuss­stelle auch diese Löcher konzen­triert haben, spricht viel dafür, dass sie am Heck der Boeing fehlen.

Sicher liegt ein Angriff von hinten viel näher, wenn man das Vorstehende be­rück­sichtigt und davon ausgeht, dass eine ukrainische SU-25 von Westen angeflogen wäre und nicht von Osten, weil sie beim Anflug von Osten eini­ge Hundert Kilometer über russisches Territorium hätte fliegen müssen, nicht nur beim Steigflug, sondern schon vorher, um die Position zu er­reichen, von der aus der Steigflug hätte starten müssen. Schauen wir uns das Dreieck von vorhin nochmal mit realistischen werten im Schema an:
su25-schema
So, nun „Feuer frei“ für konstruktive Kritik an meinen Überlegungen und Be­rech­nun­gen, aber bitte bedenken Sie bei allem, dass ei­ne SU-25 maxi­mal 1950 km oder zwei Stun­den in der Luft bleiben kann und dann wieder auf­ge­tankt werden muss.

Und hier das ominöse Dokument, das angeblich von russischen Ingenieuren erarbeitet wurde (PDF).