Große Aufregung in der Süddeutschen, die davon berichtet, dass das Landgericht Stuttgart Daimler in drei Fällen dazu verurteilt hat, Mercedes-Benz-Karren wegen Abgasmanipulation zurückzunehmen und den Käufern Schadensersatz von bis zu 40.000 Euro zu leisten. Das LG Stuttgart ist der Meinung, dass die sogenannten „Thermofenster“ zur Abgasreinigung bei Dieselmotoren unzulässig seien.
Naja, so ganz neu ist das nicht. Ähnlich haben schon das Landgericht Hanau mit Urteil vom 07.06.2018 (Az. 9 O 76/18) für einen Vito und das Landgericht Karlsruhe mit Urteil vom 7. Juni 2018 (Az. 18 O 24/18) für einen C 220d entschieden, letzteres aber durch Versäumnisurteil, d.h. Daimler hat sich nicht gewehrt.
Im Urteil des LG Hanau ist, wie in den VW-Fällen, von sittenwidriger Schädigung die Rede. Das ist IMHO falsch. Man kann die Daimler-Fälle nicht mit VW vergleichen.
VW hat die Abschaltsoftware mit ihren zwei Modi verheimlicht: sauber auf dem Prüfstand, dreckig auf der Straße. Das haben Daimler und die anderen schlauer angestellt.
Grundsätzlich sind Abschalteinrichtungen unzulässig … in den USA und der EU. Aber während die USA keine Ausnahmen zulässt, gibt es in der EU eine Hintertür, die sich als sperrangelweit offenes Scheunentor erwiesen hat.
Dabei geht es um „Thermofenster“ für den „Bauteilschutz“ in der „Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge„.
Mit allem möglichen und unmöglichen Begründungen wurde von den Herstellern dem Stickstoffausstoß freier Lauf gelassen, wenn ansonsten angeblich außerhalb des Thermofensters der Motor Schaden zu nehmen drohte. Keine für die Typenzulassung zuständige Behörde prüfte die Angaben der Hersteller nach. Das KBA hat entsprechende Anfragen bisher nicht beantwortet.
Aber es geht nicht nur ums KBA und Made in Germany, denn was irgendwo in der EU zugelassen wird, das gilt überall als zugelassen.
Diese Harmonisierung ist an sich eine feine Sache und ein Grundpfeiler des EU-Binnenmarktes. Aber es ist schon seltsam, wenn z.B. Opel sich die CoC in Malta holt. Malta ist EU, aber als Autoland eher unbekannt.
Hier eine Auflistung, wo die deutschen Dieselmogler sich so ihre Zulassungen holen:
Audi: Deutschland, Luxemburg
BMW: Deutschland, Luxemburg
BMW Alpina und BMW M GmbH: Deutschland
Ford: Deutschland, Großbritannien, Luxemburg
Daimler: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien
Opel: Deutschland, Italien, Niederlande, Großbritannien, Luxemburg, Malta
Porsche: Luxemburg
Volkswagen: Deutschland, Luxemburg.
In der Technik isses nicht ganz so schlimm wie bei den Juristen: 2 Juristen, 3 Meinungen. Aber das Gutachten, das Prof. Führ für den Untersuchungsausschuss des BT (PDF) erstellt hat, ist natürlich nicht unwidersprochen geblieben.
Prof. Führ führt aus:
- Daneben sind die im Typzulassungs-Regelwerk enthaltenen Spezialvorschriften zu beachten. Für Dieselfahrzeuge legt Art. 3 Nr. 9 Durchführungs-Verordnung fest, innerhalb welches Zeitraums bei einem Kaltstart des Motors die volle Funktionsfähigkeit gewährleistet sein muss. Danach haben „die Hersteller der Genehmigungsbehörde“ zu „belegen“, „dass die NOx-Nachbehandlungseinrichtung nach einem Kaltstart bei – 7 °C innerhalb von 400 Sekunden eine für das ordnungsgemäße Arbeiten ausreichend hohe Temperatur erreicht“. Mit dieser Nachweispflicht hat der Verordnungsgeber für Fahrzeuge klargestellt, dass es für ein daneben bestehendes „Thermofenster“ bei niedrigen Temperaturen keine Rechtfertigung geben kann. Hersteller, die gleichwohl die Funktionsweise der Abgasbehandlung herabsetzen, verstoßen gegen die Vorgaben der Durchführungs-Verordnung.
Welche Hersteller mit den Ausnahmen Schindluder getrieben haben, schreibt Führ auch: ALLE!:
- Die „Untersuchungskommission beim BMVI“ kommt in ihrem Bericht zu folgender – in der öffentlichen Wahrnehmung kaum virulenten – Feststellung (Abschnitt 3.2.3):
„Alle Hersteller nutzen aber Abschalteinrichtungen gemäß der Definition in Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.“
Bei Mercedes ging es bisher um den Transporter „Vito“, den SUV GLC und die C-Klasse. Vom offiziellen Rückruf sind bislang betroffen Fahrzeugvarianten der Euro 6b-Norm. Im Verdacht und mehr stehen aber folgende Motoren/Typen/Baujahre:
- OM 622, Vito 1,6 Liter-Diesel seit 06/2015 (Ermittlungsverfahren StA Stuttgart wegen Betruges)
- OM 626, C-Klasse 1,6l Diesel 12/2013 bis 05/2018
- OM 642, ML/GLE/GL/GLS 3 Liter V6 Turbodiesel, 09/2015 bis 12/2015
- OM 651, Vito 2,2 Liter, GLC, S-Klasse im S 300 BlueTEC HYBRID / S 300 h 12/2013 bis 09/2016
Sie können eine erste vorläufige Prüfung anhand der FIN Ihres PKW vornehmen. Die Datenbankabfrage hat Daimler hier ganz unten versteckt.
Wenn Sie schon ein Rückrufschreiben bekommen haben, umso besser.
Für den Juristen stellt sich die Frage, ob die Mogelei von Daimler bei der Zulassungsbehörde gleichzustellen ist mit dem von VW verheimlichten defeat device. Das kann man so oder so sehen und ein herstellerfreundliches Rechtsgutachten für den BT sieht es natürlich so:
- In der Rechtspraxis ist bei der Zulassung von Abschalteinrichtungen in weitem Umfang von Ausnahmen vom Verbot von Abschalteinrichtungen Gebrauch gemacht worden. Diese Praxis beruht auf einer weiten Interpretation der Ausnahmeregelungen, die allerdings – insbesondere mangels konkretisierender Regelungen der Vorgaben – auch verwendet werden konnte.
Konnte, oder auch nicht konnte und das reicht für bedingten Vorsatz … nicht strafrechtlich, aber für arglistige Täuschung.
Der arglistig Getäuschte kann den Vertrag anfechten. Problem ist bloß: das muss er binnen Jahresfrist tun (§ 124 BGB).
Aber vielleicht hilft hier § 438 BGB weiter:
- Verjährung der Mängelansprüche
…
3) Abweichend von Absatz 1 Nr. 2 und 3 und Absatz 2 verjähren die Ansprüche in der regelmäßigen Verjährungsfrist, wenn der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen hat.
Also drei Jahre, beginnend mit dem Ende des Jahres, in dem der Mangel verschwiegen wurde (Tag der Übergabe des Kfz). Dann könnten Benz-Käufer ihre Karre noch bis Ende 2019 loswerden, wenn sie die im Jahr 2016 (oder später) erworben haben.
Aber heißt es nicht in den VW-Urteilen, dass die Verkäufer (Händler) selbst nix gewusst haben und deshalb nur der Konzern für die sittenwidrige Schädigung haftet?
Richtig, aber an dieser Stelle stolpert Daimler über sein direktes Vertriebssystem. Die Mercedes-Autohäuser gehören alle Daimler. Der Verkäufer ist gleichzeitig Hersteller.
Clever, gelle!?