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    Es gibt eine Menge Menschen, die den Eindruck haben, dass über ihre Sorgen – Flüchtlinge, innere Sicherheit und die Angst um den Arbeitsplatz – im Wahl­kampf nicht geredet wird. Wenn wir Pech haben, senden diese Menschen bei der Wahl ein Signal der Unzufriedenheit, das schlimme Folgen haben wird. Dann haben wir zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschen Reichs­tag wieder echte Nazis.

Das waren die Worte von Siggi Gabriel vor einem Jahr, zwei Wochen vor der Wahl (t-online).

Noch am Abend der Wahl, dem 24. September 2017, titelte Haaretz, die größte israelische Zeitung:

War aus heute vor­läufiger Rück­sicht auf das letzte Jahr die Auf­regung be­rech­tigt?

Aufreger gab es genug: Vogelschiss, Schandmal, Chemnitz … Letzte­res wird mal als Schul­terschluss von Chemnitz in die Geschichtsbücher eingehen.

Während sich nicht nur nobody über die einzelnen Provoka­tionen auf­regt, stellt Deutschlands ge­wich­tig­ster Historiker, Heinrich August Winkler, in ei­nem In­ter­view mit der Frank­fur­ter Rund­schau die große Fra­ge, ob wir wie­der am Vor­abend der Wei­ma­rer Repub­lik.

Wer könnte diese Frage besser be­ant­worten als Winkler?

Ich bringe und kommentiere mal ein paar Zitate aus den In­ter­view, empfeh­le aber drin­gend, das ganze zu lesen.

Winkler kennt auch die toitsche Krankheit, das toitsche Gen, wie es nobody nennt. Der Toitsche hat ein Problem mit der parlamentarischen De­mo­kra­tie und Winkler schildert, wie diese in Weimar zwi­schen Linken und Rechten zerrie­ben wurde:

    Bei den Reichstagswahlen vom 30. Juli 1932, auf dem Höhepunkt der Wirt­schafts­krise, gab es erst­mals auf Reichs­ebene eine nega­tive Mehr­heit gegen die Demo­krat­ie. Die National­sozialisten und die Kommu­nisten hatten zu­sam­men die Mehr­heit, konn­ten aber natür­lich nicht mitein­ander regieren. Da­durch geriet Deutsch­land in eine Art Staatsnot­stand. Das ist eine Situation, wie es sie nie zuvor und nie danach in der deutschen Geschichte gegeben hat.

Kommunisten haben wir keine mehr im Reichs­tag aber die in Weimar unmög­liche Querfront könnte heute Zustande kommen. Nicht zwischen NSAfD und der LINKEn, aber bei Wagen­knecht und Lafontaine sehe ich schon „gute“ Ansätze. Würde diese pseudolinke Samm­lungs­bewegung bei Wah­len antre­ten, wären viel­leicht 10% drin. Zusammen mit den sich Richtung 20% bewegenden Nazis und vor allem der beängsti­genden Schwäche der SPD würden 30% Querfront allemal reichen, um zumindest das Weimarer Wahlkarussel wieder anzuwerfen um das Volx schummrig und wahlmüde zu wirbeln.

Winkler zur toitschen Demokratieunlust:

    Die parlamentarische Demokratie ist von Anfang an von ihren Gegnern als eine undeutsche Staatsform bekämpft worden, als das Produkt der Nie­der­lage, von Deutschland lediglich auf Grund des massiven Drucks der Alliierten eingeführt, in der falschen Erwartung, dadurch einen milderen Frieden zu bekommen. Die Weimarer Demokratie als ein Produkt der militärischen Nie­der­lage – mit dieser schweren Hypo­thek haben die Weimarer Demo­kraten sich an die Arbeit gemacht. Dass die Demo­kratie dann im Zuge der Krise im­mer mehr an An­hän­gern verlor, das ist der ent­schei­dende Grund dafür, dass es am Ende im Reichs­tag auch keine Mehr­heit mehr für die Erhal­tung der parlamen­tarischen Demo­kratie gab. Die war mit dem Schei­tern der letz­ten großen Koa­li­tion im März 1930 tat­sächlich am Ende. Als ein Kom­pro­miss zur Sa­nie­rung der Ar­beits­losen­ver­si­che­rung nicht zu­stande kam, schlug die Stun­de des Präsi­dial­staats, der soge­nannten Reser­vever­fassung, des Regie­rens mit Notverord­nungen nach Artikel 48.

Sehr gut … das stimmt natürlich. Zwar ist auch die Bonner Repub­lik mit ihrem Grundgesetz aus einer Nie­derlage geboren, aber die Sieger haben nicht den Feh­ler von Versailles wieder­holt. Nicht im Westen. Im Osten sah das anders aus. Da haben die Sowjets in ihrer SBZ alles abmon­tiert, was nicht niet- und na­gel­fest war.

Es stimmt auch, dass es gegen diese Querfront von 30% im Reichstag eine aus­reichend größere Koalition von -wie Winkler sie nennt- Verfassungs­patrioten gibt und gäbe. Aber wären die auch zu einer Regie­rungsbildung zum Erhalt der De­mo­kra­tie bereit? Das scheint auch Winkler zweifelhaft, weswegen er be­schwört:

    Wir leben nicht einer Staats­krise à la 30er Jahre. Große Koali­tionen sind kei­neswegs al­ter­na­tivlos. Da der Verfassungs­kon­sens heute sehr viel stärker ist als damals und wir eine große Zahl an Ver­fassungs­patrioten haben, wür­den bei uns auch Regie­rungen, die mit wechselnden Mehr­heiten regieren, nicht unbedingt ein An­zeichen von Instab­ilität sein.

Dass es Schwierigkeiten gibt, haben 2013 die Grünen und 2017 die FDP vor­ge­ührt. Trotzdem haben auch diese Parteien aus Weimar gelernt, auch wenn es sie damals noch nicht gab.

Zu diesen Lehren aus Weimar erklärt Winkler:

    Das, was sich als ein schwerer Fehler herausstellen sollte, war etwas, was den Vätern und Müttern der Weimarer Verfassung nicht bewusst war und vielleicht nicht bewusst sein konnte. Näm­lich dass es vorstellbar ist, dass sich eine Mehrheit für die Abschaffung der Demo­kratie ausspricht. Das ist eine Erfahrung, die die Väter und Mütter des Bonner Grundgesetzes von 1949 hinter sich hatten, und deshalb haben sie eine abwehr­bereite Demo­kratie geschaffen, um auszu­schließen, dass noch einmal ein demokratisches System auf formal-legalem Wege durch eine Dikta­tur abgelöst werden kann. Aus dem Scheitern von Weimar haben die weise gewordenen Weimarer, die dann das Grund­gesetz schufen, gelernt. Aber ohne Weimar kein Bonn! Ohne die Wei­ma­rer Erfahrung einer geschei­terten parlamen­tarischen Demokratie nicht die sehr viel glück­lichere Geschichte der zweiten deutschen Demokratie, die 1949 in Bonn aus der Taufe gehoben wurde.

Richtig! Vor einem vertrottelte, senilen und labilen Kommisskopp als par­la­ments­er­setzen­den Präsi­denten schützt und das GG. Was Präsidialsysteme an­richten können, zeigt und Trump, das stabile Genie. Aber schützt es uns auch vor einem Reichs­kanzler, der die Demokratie ab­schaffen will? Erkennen die heu­tigen Parlamentarier die Gefahr des toitschen Gens, „dass sich eine Mehrheit für die Abschaffung der Demokratie aus­spricht“?

Das kommt auf die Unterstützung an. Winkler verweist auf die Junker und Stahl­ba­rone, die glaubten, einen Hitler kontrollieren zu können:

    Man darf nicht vergessen, die Nationalsozialisten hatten ihren Höhepunkt im Sommer 1932, erreicht. Bei der zweiten Reichstagswahl von 1932, am 6. No­vem­ber, verloren sie etwa zwei Mil­lionen Stimmen. In dieser Situation war es keineswegs notwendig, Hitler, den Führer der immer noch stärksten po­li­ti­schen Partei, zum Reichs­kanzler zu ernennen. Das war das Werk einer Ver­schwö­rung gegen Weimar im Umfeld des Reichs­präsidenten von Hin­den­burg. Daran wirkten in aller erster Linie Ver­treter des ost­elbischen Groß­grund­be­sitzes mit, aber auch Teile der Schwer­industrie, die auf eine ver­meint­liche Kom­pro­misslösung hinarbeiteten, nämlich eine Regierung mit kon­ser­vativer Mi­nister­mehrheit unter der nominellen Füh­rung Hitlers. Eine schreck­liche Il­lusion der Kon­servativen, wie sich bald zeigen sollte.

Das ist heute (noch) anders. Die nicht mehr von Einzelnen abhängige toitsche Wirt­schaft hat auch aus Weimar gelernt: Wirtschaft kann Politik nicht bändigen. Aber das ist nur eine schein­bare Si­cher­heit, wie die Lehman-Krise angedeutet hat, die Mit­schuld an dem Aufstieg der AfD hat … fing ja mal harm­los an mit Euro-Lucke und Griechen­landrettung. Winkler:

    Weimar hätte überleben können, wenn es nicht von der Welt­wirt­schafts­krise quasi erdrückt worden wäre. Umgekehrt hätte eine gefestigte demokratische Tradition und poli­tische Kultur es der Weimarer Repub­lik ermöglicht, die Welt­wirt­schafts­krise zu über­leben.

Vielleicht … wahrscheinlich … oder auch nicht … wir sollten es besser nicht auf die Probe stellen. Aber es liegt auch nicht in unserer Hand und erst recht nicht Macht, wenn ein geisteskranker Orange in Chief einen Welt­handelskrieg an­zet­telt, der zum Zusammenbruch des Dol­lars führen könnte.

Zum Schluss stellt Winkler zwei Fragen nach dem Warum …

  1. Aber in allererster Linie konfrontiert uns die AfD mit der Frage, warum sie über­haupt zu der Stärke wachsen konnte, mit der sie jetzt im Bundestag sitzt. Und da komme ich zu dem Schluss, dass die demokra­tischen Parteien sich fragen müssen, welche Felder sie den Nationalpopulisten ohne Not über­lassen haben, was sie etwa im Bereich der Migrationspolitik versäumt haben.

Meine Rede. Die sogenannte politische Korrektkeit hat die Nazis groß gemacht. Prob­lem muss man beim Namen nennen und nicht wie eine Katze um den heißen Brei rum schleichen. Dazu hab ich ges­tern dieses nette Cartoon bei Mr. Lovenstein gefunden:

… und dem was tun:

  1. Um die Verächter der repräsentativen Demokra­tie in die Schran­ken zu weisen und den natio­nalistischen Demagogen den Boden zu entziehen, bedarf es ei­ner überzeu­genden Poli­tik und nicht ei­ner verbalen Dramatisierung der Krise.

Hier ist nobody nun ganz anderer Meinung, weil:

  • Die führenden Köpfe der Nazis, die Gauleiter und so, werden nie zugeben, was sie wirk­lich wol­len, solange sie es nicht haben, die Macht, die sie nie wie­der abgeben wollen. Da kannste auf die ein­reden wie auf ein krankes Pferd, jedes braune „Argument“ widerlegen … nützt nix.
  • Die klassische Zielgruppe der Nazis ist dümmer als drei Reihen Kopf­salat. Die kannste nur mit Geld überzeugen, kaufen … Hartz-IV erhöhen und der­glei­chen.
  • Bleibt nur die kleine Mitte Mitläufer übrig, bei denen man Über­zeugungs­ar­beit leisten kann … nicht zu blö­de, um zu verstehen, aber blö­de genug, um mit­zu­lau­fen … und des­halb unbedeutend. Oder wie nobody sagt: Mit Nazis rede ich nicht!

Beruhigend, dass es im Schland immer noch so kluge Köpfe wie Heinrich August Winkler gibt, auch wenn mich seine Worte nicht wirklich beruhigen.