nobody
hat sich gedacht, dass jeder den „lancierten“ SPIEGEL-Artikel lesen können sollte, von dem gestern das Landgericht München im Wiesnmesser-Prozess mit gekauften Zeugen und falschen Lederhosen gesprochen hat. Hier das Ergebnis der Bemühungen im Schweiße meiner Füße, ein weiteres Zeugnis der Hochkultur toitschen Journalismus‘ … wieder aus Hamburg, spätestens seit den Hitlertagebüchern des STERN die Hochburg wahrer Investigation:
Das Gesetz der Wiesn
Strafjustiz Eine Frau wehrt sich mit einem Taschenmesser gegen obszöne rassistische Angriffe. Die Staatsanwaltschaft macht daraus versuchten Mord.
Von Gisela Friedrichsen
aus DER SPIEGEL Heft 23/2015, Seiten 46 und 47.
Worte sind manchmal wie Waffen. Sie können schwer verletzen, wenn auch nur im übertragenen Sinn. Wie kann, wie darf man sich dagegen wehren? Am besten gar nicht? Ist der Tatort das berühmteste Massenbesäufnis der Welt, das Münchner Oktoberfest, hat ein durch Worte Verletzter, wenn er sich wehrt, mit Härte im Übermaß zu rechnen.
Die dreifache Mutter Melanie Meier, 34, aus Hamburg ist genau in eine solche Sache hineingeraten. Sie hat etwas getan am Ende eines feuchtfröhlichen Abends im stzelt, was sie heute unter Tränen bereut. Sie würde es am liebsten ungeschehen machen, man merkt es ihr an. Doch das Gesetz der Wiesn fordert seinen Tribut. Dieses folkloristische Nationalheiligtum darf um keinen Preis beschädigt werden.
Melanie Meiers Lebensgefährte, der Hamburger Immobilienkaufmann Detlef Fischer, 63, hatte am ersten Wiesn-Samstag vergangenen Jahres, es war der 19. September, Gäste zu Speis und Trank ins Käfer-Zelt eingeladen, darunter Geschäftsfreunde wie Norbert Haug, den Ex-Motorsportchef von Mercedes-Benz, oder Hanjo Schneider, Konzernvorstand der Otto Group. Auch Fußballprominenz war zu Gast: der frühere Nationaltorwart Jens Lehmann und Ex-Außenverteidiger Patrick Owomoyela samt Begleitung.
Die Herren in Lederhose und Trachtenjanker oder -weste, die Damen im Dirndl, von Schneiderinnen, Haarstylisten und Visagisten hochgerüstet. Dazu, unpassend zwar, aber eben Dresscode, extravagante Stilettos. Zum Brotzeitbrettl gab es für die Schönen Champagner in Krügen. Bier und Schnaps flossen in Strömen. In den frühen Morgenstunden des 20. September war nur noch der Chauffeur nüchtern, den Gastgeber Fischer zur Abfahrt bestellt hatte.
Melanie Meier trug an jenem Abend ein ausgefallenes Dirndl in Schwarz, was sogar in der Anklage erwähnt wird („ein vollständig schwarzes Dirndl“), mit einem Mieder aus Leder. Das Haar, hell blondiert, war kunstvoll hochgesteckt, ihre künstlichen Fingernägel glichen blutroten Krallen. Sie war wohl eine der auffallendsten Erscheinungen des Abends. „Toll sah sie aus“, beschreibt sie ihr Lebensgefährte vor Gericht.
Wer je auf dem Münchner Oktoberfest bis Zeltschluss durchgehalten hat, bei Käfer schlossen sich die Tore gegen ein Uhr früh, der weiß, unter welch ohrenbetäubendem Lärm die schwankenden Gestalten – sich schiebend und schubsend, dabei singend und schunkelnd – von der Blasmusik aus den Zelten „hinauscgespielt“ werden. Bis dahin herrschte beste Stimmung.
Dies änderte sich schlagartig, als zwei Männer, die weder zu der Hamburger Gesellschaft noch zu einer anderen Gruppe gehörten, unangenehm auffielen. Einer fing zu pöbeln an. Owomoyela erregte seinen Unmut: „Jetzt san die Flüchtlinge scho auf der Wiesn! Bist a Flüchtling, ha?“
Der dunkelhäutige Ex-Profi, der unter anderem für Werder Bremen und Borussia Dortmund spielte und von 2004 bis 2006 zur Nationalmannschaft gehörte, ist gebürtiger Hamburger. Er schob den angetrunkenen Kerl von sich weg. Der ging zu Boden, stand aber gleich wieder auf und sagte, es sei nicht so gemeint gewesen. Was bei seinem Begleiter Marco Sch., 34, Lkw-Fahrer der Bayerischen Staatsoper, einem weiteren Nationalheiligtum, nichts an dessen flammender Wut änderte. Fünf Maß Bier und der mutmaßliche Konsum von „magic mushrooms“, also Drogenpilzen, taten bei ihm ihre Wirkung.
„Wie ein Irrer“, so sagen Zeugen, „wie eine Dampfwalze“ sei Sch. dahergekommen. Mit erhobenen Fäusten habe er geschrien: „Du Bimbo, schleich dich dahin, wo du herkommst!“ Und: „Scheißneger, ich bring dich um!“ Owomoyela als Zeuge: „Vor mir stand ein Mann, der mein Leben bedrohte! Ich rechnete damit, dass er gleich zu schlagen anfängt. Meine Freundin drängte mich zum Glück weg.“
Umstehende regten sich auf. „Die Leut haben uns als Schweine und Nazis beschimpft“, beschwert sich Sch. vor Gericht. Ein älterer Herr und eine blonde Dame hätten hysterisch herumgeschrien.
Melanie Meier? Sch. weiß noch, dass sie ihn als „primitiv“ bezeichnete. Worauf er sie angeschrien habe: „Du Flietschn“ (zu Deutsch Flittchen), „du fickst den Bimbo!“ Weitere rassistische, obszöne Beleidigungen („Negerfotze, Negerhure“) fielen, weil Sch. die Frau im schwarzen Dirndl für Owomoyelas Freundin hielt.
Was dann geschah, hat entweder niemand beobachtet, weil die meisten dem aggressiv aufgeladenen Gedränge zu entkommen versuchten. Oder es wollte niemand etwas gesehen haben, weil weggeschaut wurde. Die dritte Möglichkeit wäre, dass Melanie Meier von Sch. gar nicht angegriffen wurde. Dann aber hätte sie ihm grundlos ein Taschenmesser in die Seite gestoßen. Ist das realistisch?
Wären nicht Rettungskräfte gleich zur Stelle gewesen, der Mann hätte innerlich verbluten können. Denn zunächst merkte er selbst von dem Stich kaum etwas. In einer Notoperation wurde ihm wenig später die Milz entfernt. Vor Gericht behauptet er nun: „Ich hab a Trauma.“
Den Tathergang beschreiben Opfer und Täterin unterschiedlich. Von Sch. gibt es mehrere Versionen, etwa die, dass die Frau im schwarzen Dirndl 20 Meter hinter ihm hergelaufen sei, ehe er sich zu ihr umdrehte und gestochen wurde. Oder dass er drei oder fünf Meter rückwärtsgegangen sei und die Frau ihn gefragt habe: Warum schubst du mich? Er habe sich sogleich dafür entschuldigt. Ist es dann plausibel, dass sie zustach?
Melanie Meier hingegen sagt, Sch. sei auf sie zugekommen, habe sie derb an der Schulter gepackt mit den Worten: „Jetzt bist du dran, Schlampe, du bist fällig!“ Wiederholt habe er gedroht, sie umzubringen. Niemand habe auf ihre Hilferufe gehört.
Der Vorsitzende Richter zweifelnd: „Es standen doch allerlei Leute in direkter Nähe! Eine Frau schreit um Hilfe gegen einen rasenden Sch. – und keiner reagiert?“ Melanie Meier: „Mir hat niemand geholfen. Der war wie irre! Ich war vollkommen gefangen in meinem Kopf! Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte! Ich hatte nur noch Angst! Ich wollte das wirklich nicht!“ Mit tränenerstickter Stimme versucht sie, dem Gericht ihre Gefühlslage zu beschreiben. Und stößt auf Unverständnis.
Richter Norbert Riedmann, der als Vorsitzender der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts München I die Anklage wegen versuchten Mordes verhandelt, hat eigene Vorstellungen, was man in einer solchen Situation tut. Er versteht nicht, dass sich die Angeklagte, „fix und fertig“ wie sie gewesen sein soll, als sie schließlich von einer Freundin zum Auto geführt wurde, nicht sofort ihrem Lebensgefährten an den Hals warf, um ihm von der Konfrontation mit Sch. zu berichten. Er versteht nicht, dass sie sich im Auto still verhielt und mit Gästen zum P1 mitfuhr, zum „Oanser“, dem legendären Münchner Klub, wo man sich zur „After-Wiesn-Party“ traf. Er versteht auch nicht, warum sie bis zum nächsten Tag schwieg und insgeheim hoffte, es möge nichts Schlimmes passiert sein.
Riedmann fragt die Zeugen, ob sie Hilfeschreie gehört hätten. Bei dem Lärm? Er fragt, ob jemand das Messer gesehen habe. In dem Gedränge? Er fragt, wieso sich zwei ortsunkundige alkoholisierte Frauen wie die Angeklagte und ihre Freundin von ihrer Gruppe abdrängen ließen: „Da erwartet man doch, dass man sich an der Hand packt. Jeder weiß schließlich, wie es auf der Wiesn zugeht!“ Jeder?
Die Angeklagte wird von den Hamburger Strafverteidigern Gerhard Strate und Annette Voges verteidigt sowie von dem Münchner Steffen Ufer. Der hat bereits einen strafmildernden Täter-Opfer-Ausgleich herbeigeführt: Die Angeklagte zahlt 80 000 Euro an Sch. und entschuldigt sich, was dieser unterdessen annahm. Strate dagegen, seit der Affäre Mollath nicht unbedingt Freund der bayerischen Justiz, wirft den Anklägern und den Richtern des Landgerichts vor, dem Verfahren eine falsche Sachverhaltsannahme zugrunde zu legen.
Der Anwalt macht dies daran fest, dass ein Münchner Amtsrichter trotz Beschwerde der Staatsanwaltschaft zweimal einen Haftbefehl gegen Melanie Meier ablehnte. „Nach der Aussage des vom Geschädigten beleidigten Schwarzen war der Geschädigte ,richtig aggressiv‘ und fing auch an, ,die Mädels anzupöbeln‘. Ihm gegenüber hatte er geäußert, ,du Bimbo, du Neger, ich bring dich um‘“, schrieb der Amtsrichter in einem Beschluss. Dies mache die Angaben der Beschuldigten, der Geschädigte habe sie bedroht und angegriffen, als es zu dem Messereinsatz kam, „in überwiegendem Maß plausibel“. Die Situation sei als in hohem Maße bedrohlich erlebt worden. „Dass die Beschuldigte dann panisch reagierte, ist überwiegender plausibel als ein andernfalls kaum lebensnah zu erklärender Angriff durch eine Frau auf einen körperlich deutlich überlegenen Mann.“
Die Staatsanwaltschaft aber glaubt Melanie Meier nicht. Dass ihre Panik zu einem Ausschluss eines bedingten Tötungsvorsatzes geführt haben soll, „ist schlicht nicht nachvollziehbar“, lautet ihre Argumentation. Demnach müsste die Angeklagte Sch. in einer „zwar unangenehmen, jedoch nicht ernsthaft bedrohlichen Situation“ gestochen haben. Einfach so? Ohne Anlass? Das Landgericht erließ Haftbefehl.
Kaum zu glauben, dass die augenscheinlich verzweifelte, von Weinkrämpfen geschüttelte Angeklagte, die seit dem 7. Oktober in U-Haft sitzt, sich damals wie eine Furie verhalten haben soll. Zeugen berichten von ihrer Ängstlichkeit, ihrer steten Sorge um die Kinder, das jüngste ist erst sechs. Ihre Biografie bietet Anhaltspunkte dafür, dass sie, beeinträchtigt durch ungewohnt viel Alkohol, in einer Art Angstaffekt gehandelt haben könnte.
Den Weg zum versuchten Mord findet die Staatsanwaltschaft über das Mordmerkmal der Heimtücke, weil Sch. kein Messer sah. Strate aber zitiert den 1. Strafsenat des BGH, der sagt, ein Angreifer müsse grundsätzlich damit rechnen, dass der Angegriffene von seinem Recht zur Notwehr Gebrauch mache. „Mit seinem konkreten Angriff hat das spätere Opfer des Gegenangriffs in aller Regel seine Arglosigkeit zuvor verloren“, so der BGH. Sch. habe damit rechnen müssen, dass eine Frau sich wehrt, wenn er sie anpackt. Hat er sie gepackt? Aussage steht gegen Aussage.
Der Vorsitzende Riedmann gilt in München als eigenwilliger Kopf, der nicht immer der Staatsanwaltschaft folgt. Deren Sprecher teilte bereits mit: „Es ist auch bei einem versuchten Mord möglich, die Höchststrafe von Lebenslänglich zu verhängen.“ Wie absurd, in einem Fall, für den selbst nach dem Gesetz der Wiesn eher das Notwehrrecht gelten dürfte.
So sieht es also aus, wenn Augsteins Erbe von der Elbchaussee in einem Rutsch über den Boulevard im Gulli der Klatschspalten verschwindet. War’s sehr teuer, Detlef?
Oh ja, so isse – die Schickeria.
Man kennt sich, und man hilft sich.
Und Geld spielt keine Rolex.
„Der Vorsitzende Riedmann gilt in München als eigenwilliger Kopf, der nicht immer der Staatsanwaltschaft folgt“
Der Vorsitzende ist eigenwillig, weil er nicht immer der Staatsanwaltschaft folgt?
Was ist das für eine selten dämliche Aussage?
Kann nicht glauben, daß die Frau eine erfahrene Gerichtsreporterin ist.
Sie war mal die Beste
Moin nobody,
muss schon wieder loben, wie langweilig.
Aber so ein Satz ist echt wie ein vierblättriges Kleeblatt in dem Blog- und Mediengetrüpp. Du machst sie jetzt fertig und kannst trotzdem anerkennen, was sie kann (konnte).
Undurchsichtig finde ich die Sache selber. Zwischen der Wirklichkeit (ich bin kein großer Anhänger des Konzepts „Wahrheit“) und deren Repräsentation in diesem Prozess scheinen ja etliche dicke Schichten zu liegen – wie meistens vor Gericht. Das Interesse der Öffentlichkeit (meines auch) ist zu 80 % Voyeurismus. So’ne Art Tatort in „echt.“.
„Ein Prozeß ist eine förmliche Untersuchung zu dem Zweck, den makellosen Charakter von Richtern, Advokaten und Geschworenen zu beweisen und aktenkundig zu machen. Dazu ist eine Kontrastperson in Form eines sogenannten Angeklagten, Gefangenen oder Beschuldigten erforderlich.“
Ambrose Gwinnett Bierce
(1842 – 1914)
Er fragt, wieso sich zwei ortsunkundige alkoholisierte Frauen wie die Angeklagte und ihre Freundin von ihrer Gruppe abdrängen ließen: „Da erwartet man doch, dass man sich an der Hand packt. Jeder weiß schließlich, wie es auf der Wiesn zugeht!“ Jeder?
Zumindest jeder, der dorthin ein 8 cm langes Klappmesser schleppt und es gut genug beherrscht, um es einem Mann zweimal in den Bauch zu stechen, würde ich meinen.