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EhrdoWahns Kampf um die Leinwand: Aus dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 29.07.2016, Az. 15 B 876/16

    Die Beschwerde wird zurückgewiesen

    G r ü n d e :


    Das Verwaltungsgericht hat auf den Antrag des Antragstellers die auf­schie­ben­de Wirkung der Klage – 20 K 6622/16 – gegen die Nr. 4 des Auf­la­gen­be­scheids des Antragsgegners vom 27. Juli 2016 („Die Aufstellung einer Vi­deo­lein­wand auf der Bühne wird unter­sagt.“) mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Video­leinwand aus­schließlich zur vergrößerten Dar­stellung der per­sön­lich bei der Ver­samm­lung anwe­senden Redner benutzt werden darf. Im Übrigen hat das Verwaltungs­gericht den Eil­antrag abge­lehnt. Zur Begrün­dung hat das Verwaltungsgericht u. a. aus­geführt, es spreche viel dafür, dass die Aufstel­lung der Videoleinwand für einen Teil der von dem Antragsteller be­ab­sichtigten Zwecke nicht vom Grund­recht der Ver­samm­lungs­frei­heit und von § 15 VersG gedeckt sei. Insoweit gehe das Verwaltungsgericht von der Er­wä­gung aus, dass das Ver­samm­lungsrecht nicht darauf gerichtet sei, aus­län­di­schen Regierungsmitgliedern oder Staats­ober­häuptern durch Live­über­tra­gungen eine Platt­form für politische Stel­lungnahmen zu bieten.

    Dies zugrunde gelegt ist es dem Antragsteller aufgrund von Nr. 4 des Auf­la­gen­bescheids vom 27. Juli 2016 nunmehr nur noch verboten, bei der für den 31. Juli 2016 an­gemeldeten Ver­sammlung etwa den türki­schen Staats­prä­si­denten Erdo­gan und weitere Regierungs­mitglieder aus der Türkei über die auf der Bühne auf­gestell­te Videoleinwand live zuzuschalten, wie der Antragsteller es nach seinem Vor­bringen ggf. beabsichtigt. Diese fort­be­ste­hen­de Be­schrän­kung ist somit auch alleiniger Beschwerde­gegenstand.

    Die insoweit seitens der Beschwerde erhobenen Einwände greifen nicht durch.

    Der Antragsteller wird durch die noch im Streit stehende Beschränkung nicht in eigenen Rechten verletzt. Weder die Ver­samm­lungsfrei­heit des Art. 8 Abs. 1 GG noch andere Grundrechte – wie namentlich die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG – verleihen dem Veranstalter einer Ver­samm­lung – wie hier dem Antragsteller – von ihrem Schutzgehalt her einen Anspruch darauf, aus­län­di­schen Staats­ober­häup­tern oder Regierungs­mitgliedern die Gelegenheit zu ge­ben, in der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen öffent­licher Ver­samm­lun­gen in ihrer Funktion als Staat­sober­haupt bzw. Regierungsmit­glied zu po­li­ti­schen Themen zu sprechen.

    Gemäß Art. 8 Abs. 1 GG haben alle Deutschen das Recht, sich ohne An­mel­dung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu ver­sammeln.

    Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zweck einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung ge­rich­teten Erörterung oder Kund­gebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem an­ders­den­kenden Minderheiten zugutekommt, ist die Ver­samm­lungs­freiheit für eine freiheit­lich demokratische Staats­ordnung im Vertrauen auf die Kraft der frei­en öffent­lichen Aus­einandersetzung konstituierend. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Moda­litäten sie ihr An­lie­gen am wirk­samsten zur Geltung bringen können, gewähr­leis­tet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffent­lichen Ver­sammlung teil­zu­neh­men oder ihr fern zu blei­ben, sondern umfasst zu­gleich ein Selbst­be­stim­mungs­recht über die Durch­füh­rung der Ver­sammlung als Auf­zug, die Aus­wahl des Or­tes und die Bestim­mung der sonsti­gen Moda­litäten wie Zeit­punkt, Art und In­halt der Veran­staltung.
    [Rechtsprechungsnachweise]

    Zu dem Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters der Ver­samm­lung ge­hört prin­zipiell auch das Recht, die auf ihnen auftretenden Redner festzulegen. Zählt ein Redebei­trag zu den Programm­punkten einer öffentlichen Ver­samm­lung, so beeinträchtigt ein Rede­verbot die Möglichkeit kommunikativer Ent­faltung in Gemeinschaft mit anderen Ver­sammlungsteil­nehmern und damit auch das Grundrecht der Ver­samm­lungs­freiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.
    [Rechtsprechungsnachweise]

    Allerdings findet der Schutzbereich dieses Grundrechts seine inhaltliche Gren­ze dort, wo es mit den oben angesprochenen konsti­tuierenden Merk­malen des Art. 8 Abs. 1 GG in kei­nem Zusam­menhang mehr steht. Das Grund­recht der Ver­samm­lungs­frei­heit ist – wie alle Grund­rechte – in erster Linie als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat konzipiert. Der ver­fas­sungsrechtlichen Grundent­scheidung zugunsten einer weit­reichenden Ver­sammlungsfreiheit liegt die Erwägung zugrunde, dass deren Aus­übung seit jeher als Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbst­be­wussten Bürgers in einem frei­heitlichen Staatswesen gelten. Indem der De­mon­strant seine Meinung in physischer Präsenz, in voller Öffent­lichkeit und ohne Zwischen­schaltung von Medien kundgibt, entfaltet auch er seine Per­sön­lichkeit in unmit­telbarer Weise. In ihrer idealtypischen Aus­formung sind De­monstrationen die gemeinsame körper­liche Sicht­barmachung von Über­zeugungen, wobei die Teilnehmer einer­seits in der Gemein­schaft mit anderen eine Verge­wisserung dieser Über­zeugungen erfahren und an­de­rer­seits nach außen – schon durch die bloße Anwe­senheit, die Art des Auftretens und des Umgan­ges mitein­ander oder die Wahl des Ortes – im ei­gent­lichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt be­zeugen.
    [Rechtsprechungsnachweise]

    Der von dem Antragsteller verfolgte, in der Beschwerdebegründung nochmals hervor­gehobene Anspruch, es insbesondere zu ermöglichen, dass sich der türkische Staats­präsident per Live­bildübertra­gung an die Teil­nehmer der Ver­samm­lung wendet, liegt jedoch erkenn­bar außerhalb dieses Schutz­zwecks. Art. 8 Abs. 1 GG ist kein Instrument dafür, ausländischen Staats­ober­häup­tern oder Re­gie­rungs­mit­gliedern ein Forum zu eröffnen, sich auf öf­fent­lichen Ver­samm­lungen im Bundesgebiet in ihrer Eigen­schaft als Ho­heits­träger amt­lich zu poli­tischen Frage­stellungen zu äußern. Aus diesem Grund kann auch nicht von einem in die formale Gestalt einer tech­nischen Auflage gekleideten Rede­verbot gegen­über dem tür­kischen Staats­präsidenten ausge­gangen werden, zumal dieser als solcher – ebenso wie ande­re Ho­heits­träger – kein Grundrechts­berechtigter im Ver­hältnis zu dem grund­rechtsverpflichteten Antragsgegner ist (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG).

    Daran anschließend ist für die Bestimmung der (insoweit in dem in Rede ste­hen­den Kontext ein­geschränkten) subjektiven Rechtsposition des An­trags­tellers ferner aus­schlaggebend, dass die Möglichkeit aus­ländischer Staats­ober­häup­ter oder Re­gierungs­mit­glie­der zur Abgabe poli­tischer Stel­lung­nah­men im Bundes­gebiet nach der Regelungs­syste­matik des Grund­gesetzes nicht grund­recht­lich fun­diert ist. Der Grund­ent­schei­dung der Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, 23, 24, 32 Abs. 1, 59, 73 Nr. 1 GG ist zu ent­neh­men, dass sich die aus­wärtigen Bezie­hungen der Bun­des­republik Deutsch­land zu anderen Staaten – d. h. auch zu deren Staats­ober­häup­tern und Regie­rungsmit­glie­dern – allein nach Maß­gabe dieser Bestim­mungen auf der zwi­schen­staat­lichen Ebene vollziehen. Sie sind in diesem Rahmen Gegenstand der Gestal­tung der Außen­politik des Bundes.
    [Rechtsprechungsnachweise]

    Es ist damit Sache des Bundes zu entscheiden, ob und unter wel­chen Rah­men­be­din­gungen sich ausländische Staats­ober­häup­ter oder Re­gie­rungs­mitglie­der auf dem Gebiet der Bundes­republik Deutsch­land im öf­fent­li­chen Raum durch amt­liche Äußerun­gen politisch betätigen dürfen. Die Ent­schei­dung darüber liegt nicht bei dem priva­ten An­melder einer – ansonsten über Art. 8 Abs. 1 GG geschütz­ten – Versammlung.

So isses und so isses Recht, sagt nobody.