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Das Hirn spaziert nachts auf seltsamen Traumpfaden. An Träume kann ich mich sonst fast nie erinnern. Heute war es anders und ich habe darüber gegrübelt, wie meine graue Grütze just auf das Traumthema gekommen ist. Das war einfach, dazu brauche ich keinen Sigismund. Der SPIEGEL ist schuld mit diesem kurzen Satz zu den „schönsten Reisen im Mai„:
- Um edle Pferde, Flamenco, Sherry und Gitarrenmusik geht es vom 30. April bis zum 7. Mai im andalusischen Jerez de la Frontera auf dem Festival Feria del Caballo.
Da hab ich mich gestern drüber gewundert, warum die Pélerinage in Saintes-Maries-de-la-Mer nicht vorkommt. Die ist doch auch immer im Mai. Und nun habe ich davon geträumt, nicht von der Zigeunerwallfahrt, sondern den kleinen Zigeunern am Rande der Wohnstadt, gleich hinter meiner Schafswiese, wo ich die Geheimnisse des Kosmos enträtselt habe und „die durchschlagende Wirkung von Oxalsäure auf den menschlichen Magen- und Darmtrakt bei übermäßigem Genuss von Sauerampfer“ entdeckt habe. Das hätte den Titel einer dollen Doktorarbeit abgeben können, so mit Selbstversuch und so … ein viel zu wenig erforschtes Feld, das nobody
schon mal in „Nichts“ angerissen hat … wo war ich stehen… achja … Feld = Schafswiese = Zigeuner.
Jenseits meiner Schafswiese, am Waldesrand, dort wo ich meine erste hängende Leiche entdeckt habe … hab ich das schon erzählt? Nein! Später, vielleicht … Also dort am Waldesrand lagerten damals die Zigeuner. Jeden Sommer kamen sie. „Geh da nicht hin! Die klauen Kinder„, sagte Oma. Mama sagte nix, sondern hat mir wieder eine gescheuert, wenn sie gerochen hat: „Du warst wieder bei den Zigeunern!“ Dabei war klein nobody
gar nicht bei denen, nicht gleich, nicht als sie noch am Waldrand waren. Dafür hatte ich wegen der Ammenmärchen der Mischpoke viel zu sehr Angst vor den seltsamen Menschen. Aus gesicherter Entfernung auf dem Bauch liegend Sauerampfer mümmelnd habe ich sie beobachtet, die Frauen in ihren weiten wallend-bunten Röcken, in denen sie tagsüber ihre prolaptischen Uteri vor sich her und bunte Perverser-Teppiche über der Schulter trugen, eine Schar Kinder im Schlepptau. Die haben mir leid getan. Keiner wollte ihre Teppiche kaufen. Onkel hat mir das so erklärt: Die wollen die Teppiche gar nicht verkaufen, sondern sich mit der Masche nur Zutritt zu Wohnung verschaffen, um dort zu klauen. Das habe ich geglaubt. Aber warum hat es dann in der Wohnstadt nicht täglich von Bullizey gewimmelt, die solche Diebstähle aufzuklären versucht?
Egal … wird schon seine Richtigkeit gehabt haben. Besser Abstand halten. Eines Tages war der Abstand dann besonders groß. Die Zigeuner waren wech, ihr angestammter Lagerplatz am Waldrand verwaist. Man hatte sie vertrieben.
Zum Glück nicht weit. Meiner Nase und dem Rauch der Lagerfeuer folgend hat nobody
sie dann in Büblingshausen wiedergefunden. Lagerfeuer am Abend, welches Kind könnte da widerstehen. Die Lagerfeuer haben mich auch verraten. Mutter hatte eine gute Nase. Hab ich von ihr geerbt. Am Zigeunerheimkehrer rumschnüffelnd hat sie kreischend festgestellt: „Warst wieder bei den Zigeunern!“ KLATSCH! Hat nicht weh getan. War eher symbolischer Natur 😆 und einkalkuliert. Dafür waren die Lagerfeuer, die Musik, der Tanz, die tanzenden Mädchen zu verlockend. Später, so um die Zwölf, hat sich
nobody
geschworen: Du heiratest mal eine Zigeunerin mit langen braunen Locken … naja, daraus wurden dann vorübergehende lange blonde Locken
Vater hat zu meinem Zigeunerdasein nix gesagt. Klar sagte Mutter: „Nu sach doch auch was dazu! Warum sagst du denn nie was?“ Und dann hat Vadder auf dem Absatz kehrt gemacht und sich stumm zu einer Zigarre ins Wohnzimmer verdrückt. Kein Wunder. Erwin war ja selbst eine Art Zigeuner 😎 Das Wortspiel hab ich schon mal erklärt.
An meinen kleinen Zigeunerfreund von damals kann ich mich nicht mehr erinnern, nicht einmal im Traum. Nur an die komische Sprache, die wir uns ausgedacht haben, um uns zu verstehen. Seine habe ich nämlich nicht verstanden. Heute weiß ich, dass es Jenisch war, Rotwelsch vermischt mit Französisch und Portugiesisch. Egal, Alexandra singt von ihm: Zigeunerjunge
… durfte man vor 50 Jahren nicht nur sagen, sondern sogar drüber singen … waren halt politisch unkorrekte Zeiten … aber schön.