Aus „WDR PRINT“ Dezember 2014 (PDF)
Ich bekam auch TODESDROHUNGEN
Sie wurden wegen Ihrer Berichterstattung aus der Ukraine massiv angefeindet. Was waren die Hauptkritikpunkte?
Zuschauer kritisierten, dass ich zu wenig am Ort des Geschehens gewesen sei und zu sehr „Hotelberichterstattung“ gemacht hätte. Dass ich einseitig, sprich: antirussisch berichten würde, Tatsachen absichtlich verdrehen und auf Befehl und in Abstimmung mit der deutschen Regierung und der NATO berichten würde.
Ich bin wohl noch nie in meinem Journalistenleben so viel unterwegs und vor Ort gewesen wie in diesem Jahr. Stundenlange Fahrten in der Ostukraine und auf der Krim für Tagesreportagen gehörten zum normalen Korrespondentenalltag. Vieles habe ich hautnah erlebt. Es gab im Rückblick betrachtet eher wenige Tage, an denen ich das Hotel und unser Büro überhaupt nicht verlassen konnte, dazu gehörten vor allem die zwei Tage nach dem Absturz der MH 17. In solchen Situationen klingelt das Telefon im Minutentakt.
Wie hat Sie die Kritik erreicht?
Die Kritik erreichte mich auf vielen Wegen: über soziale Medien, per Mail an verschiedene ARD-Adressen, oft auch an mich persönlich adressiert. Leider war der Ton meist etwas wirr, aggressiv, emotional, manchmal vulgär. Ich bekam auch Todesdrohungen. Auffällig war: Immer wenn wir aus Kiew über die dortige Regierung berichteten, kamen besonders massive Attacken.
Worum drehte sich die Kritik inhaltlich?
Besonders kritisch schien für viele die Thematisierung der Hinweise auf russische Streitkräfte in der Ukraine oder überhaupt die russische Einmischung. Oder unsere Bewertung der rechtsradikalen Kräfte in Kiew. Oder die angeblich fehlende Einordnung der Rolle der EU bei der Entstehung des Konflikts. Oder dass ich „russophob“ sei. Nicht nur der letzte Vorwurf ist mir unbegreiflich. Auch aufgrund meiner Biografie ist es mir ein Anliegen, in meinen Berichten zwischen der Politik eines autoritären Staates und der Bevölkerung zu unterscheiden. Was der Kreml macht, hat nichts mit „den Russen“ zu tun, und „die Russen“ gibt es schon gar nicht ! Oft steht ja Aussage gegen Aussage in unseren Berichten. Kiew sagt das eine, Moskau das andere. Der Westen das eine, der Kreml das andere. Nun würde jeder arglose Beobachter wohl vermuten, dass die Wahrheit in der Mitte liegt.
Aber manchmal liegt die Wahrheit eben nicht in der Mitte. Entweder gibt es russische Truppen auf der Krim oder es gibt keine. Entweder gibt es aus Russland gekommene Separatistenführer oder es gibt keine. Entweder gibt es russische Soldatenmütter, die über ihre in der Ukraine umgekommenen Söhne weinen, oder es gibt keine.
Steckt ein Profi die Vorwürfe einfach weg oder traut er seinem Know-how, seiner Erfahrung selbst nicht mehr?
Auch wenn mir Kollegen und Vorgesetzte davon abgeraten haben, habe ich die meisten Zuschriften doch gelesen. Das war mitunter schwierig. Ich merkte, wie ich immer nachdenklicher wurde, auch verletzt reagierte. Manchmal fragte ich mich später, ob sich bei bestimmten Formulierungen von nun an der innere Zensor einschaltet. Oder warum ich für eine wechselhafte öffentliche Meinung so oft mein Leben riskiert habe.
Der Kreml spricht von einem „Informationskrieg“, den der Westen gegen Russland führen würde …
Als ich vor fast zwei Jahren nach Moskau kam, fragte ich mich zunächst, wie aufmerksam der Kreml unsere Berichterstattung verfolgt. Damals waren westliche Berichte für die russischen Medien und Machthaber eher selten ein Thema. Das hat sich nun radikal geändert. Europäische Umfragen und Stimmungen werden nicht nur genau verfolgt. Sie werden gestaltet.
Ich bin nicht die einzige Osteuropa-Korrespondentin, die während ihrer Arbeit von „kafkaesken Situationen“ oder „Orwellschen Realitäten“ sprach. Stellen Sie sich vor, Sie erleben eine revolutionäre Situation in einer Hauptstadt, kommen unmittelbar danach in die Peripherie und dort wird Ihnen gesagt: „Es war in Kiew alles ganz anders als deine Augen es gesehen haben! Und wenn du jetzt mit russischen Soldaten sprichst, dann sind es eigentlich keine russischen Soldaten!“ Und dann hören Sie von einem einfachen Bürger, der noch nie westliche Medien gesehen hat: „Ihr Westmedien verdreht ja alles und lügt!“ Es wird unterstellt, dass unsere Medien Teil einer westlichen Verschwörung gegen Russland sind.
Und weil dies angeblich so ist, sieht sich der Kreml gezwungen, mit der Schaffung neuer Medien zu reagieren. Indem er ein mächtiges Gegen-Narrativ, einen Gegen-Spin zu den Geschehnissen erschaffen hat. Dieses Gegen-Narrativ wirkt bei vielen Zuschauern und Lesern. Ob in Russland, in der Ukraine oder in Deutschland. Und Sie – als Journalist vor Ort – sind erst einmal eine Art Geisterfahrer. Auch wenn die Erde rund ist, sagen alle um Sie herum: Die Erde ist eine Scheibe.
Welche Konsequenzen hat dieses „Gegen-Narrativ“?
Dieses Gegen-Narrativ wirkt nach – vor allem bei unseren kritischen, linksintellektuellen Zuschauern und Lesern. Aber nicht nur dort. Viele fangen an, unsere Berichterstattung 1:1 zu prüfen entlang der russischen Schlagzeilen, die sie quasi als Vergleichsmaßstab heranziehen. Unbewusst und ohne Kenntnis, wie die Lage vor Ort denn tatsächlich aussieht oder wie russische Staatsmedien generell Nachrichten generieren. Geht es um eine alternative Sichtweise oder geht es um die Schaffung einer Parallelwelt, in Dutzenden von Sprachen, in hochmodernen Nachrichtenstudios, mit Experten, die keine Experten sind? Geht es darum aufzuklären? Oder darum, im Inneren bestimmte Bevölkerungsschichten als Freiwillige für die Ostukraine zu mobilisieren? Und gleichzeitig in Europa die Zuschauer gegenüber ihren eigenen Medien, ihren eigenen Politikern skeptisch werden zu lassen?
Wie können Sie den Zuschauern die Unsicherheit nehmen, welchen Informationen zu trauen ist?
Mit diesem Phänomen müssen wir uns meiner Meinung nach viel mehr befassen – und den Zuschauer aufklären. Das Thema „Schaffung von Gegenöffentlichkeit“, „Destabilisierung durch Desinformation“, „Hybrider Krieg und Informationskrieg“, Schaffung eines staatlichen Medienkonglomerats in Russland mit „strategischem Stellenwert“ – all das trifft auch den Kern dieser Krise, wurde aber meiner Meinung nach zu wenig von uns thematisiert. „Russia Today“ erreicht mittlerweile hunderte Millionen Zuschauer weltweit und sendet auch auf Deutsch. Wie funktioniert der Sender? Wer steht dahinter? Wissen die Zuschauer bei uns, dass „Russia Today“ und andere russische Medien einen vom Kreml zugeschriebenen „strategischen Stellenwert“ haben, so wie Schiffswerften, Fluggesellschaften oder Gazprom? Medienexperten sind überzeugt, dass Sender wie „Russia Today“ oder das iranische „Press TV“ die „Schwachstellen der Globalisierung“ ausnutzen, um gerade die Unzufriedenen in den westlichen Gesellschaften anzusprechen und zu binden.
Was empfehlen Sie? Weiterlesen